Ausgangslage

Da bisher keine einzige Gesellschaft gefunden wurde, in der Frauen als Gruppe sowohl über sich selbst als auch über die Männer ihrer Gruppe Entscheidungen treffen, die Regeln des sexuellen Verhaltens bestimmen, Heiratsallianzen schaffen, das politische, wirtschaftliche und soziale Leben für sich und ihre Gruppe verantwortlich leiten, ging man in den frühen Theorienbildungen davon aus, dass die Unterordnung der Frau unter den Mann gewissermaßen naturgegeben sei. Es wurde weiterhin schlicht vorausgesetzt, dass Männer immer die gesellschaftlich wichtigen Funktionen, Frauen die vermutlich unwichtigeren Arbeiten auszuüben hätten.
Ist männliche Dominanz und weibliche Subordination, d. h. die Ungleichheit unter den Geschlechtern, eine Konstante in menschlichen Beziehungen oder gab und gibt es Gesellschaften, in denen Frauen entweder die Macht mit Männern teilten oder Macht über Männer hatten und haben? Hat die Ungleichheit zwischen Mann und Frau biologische Ursachen oder ist sie möglicherweise ein kulturelles Produkt, wobei Traditionen, Sozialisationen, Religionen und ökonomische Einflüsse in einer komplexen Interaktion stehen? Waren und sind Frauen immer untergeordnet?

 

Erste Schritte in Richtung „Frauenforschung“

Diesen Fragen gingen Anfang der 70er Jahre Wissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen im Rahmen der feministischen Bewegung in der westlichen Welt nach. Sie stellten dabei traditionelle Hypothesen, die die weitverbreitet vorfindbaren Ungleichheiten in den Geschlechterbeziehungen gewöhnlich mit biologistischen Erklärungsmodellen angingen, in Frage. In diesem Zusammenhang wurde auch versucht, den Gründen und Ursprüngen für den untergeordneten Platz der Frau in der Gesellschaft analytisch beizukommen und die Frage zu klären, wann diese weibliche Subordination stattgefunden haben könnte und wie sie institutionalisiert wurde.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschung waren, dass in diesen theoretischen Auseinandersetzungen androzentrisches (male bias) wissenschaftliches Denken aufgedeckt, Theorienbildungen in Frage gestellt und Hypothesen, die über Jahrzehnte hinweg die Diskussion um die Ungleichheit unter den Geschlechtern bestimmten, widerlegt und die Forschung auf weibliche Aspekte der Geschlechterbeziehungen und ihrer Asymmetrie gelenkt wurden.
Die Kritik an der traditionellen wissenschaftlichen Forschung bezog sich auf das Fehlen und die Vernachlässigung von Frauen in der Analyse von Geschlechterrollen als Dimension des sozialen Lebens, weil dadurch ein Teil des menschlichen Lebens, nämlich das der Frauen, und deren Erfahrungen der bisherigen wissenschaftlichen Erforschung entgangen sei.

Übliche Hypothesen zur Subordination der Frau

Bis Anfang der 70er Jahre bestimmten vor allen Dingen zwei bzw. drei Hypothesen die wissenschaftliche Diskussion um die Frage nach den Gründen für die Ungleichheiten in den Geschlechterbeziehungen. Es handelt sich dabei um die sozialdarwinistische bzw. biologistische Hypothese, wonach Sexismus für den Überlebenskampf am geeignetsten war, die durch Sigmund Freuds Schlagwort, dass Anatomie Schicksal sei, noch zusätzlich gestützt wurde. Auf Freud geht auch die psychologische Hypothese vom weiblichen Penisneid, der das Sexualleben der Frau bestimme, zurück, so dass biologische bzw. psychologische Faktoren für die Subordination der Frau verantwortlich seien. (Sigmund Freud „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag, 1904/1987:67).
Karl Marx und Friedrich Engels, die sich beide schon früh mit der theoretischen Diskussion um die Gründe für die Subordination der Frau befassten, sahen die Unterordnung der Frau in den ökonomischen Bedingungen von Klassengesellschaften verankert. Dieser Ansatz sollte erst sehr viel später von marxistischen Feministinnen wieder aufgegriffen werden.
Die sozialdarwinistische bzw. biologistische und die psychologische Hypothese sollten aber bei der Frage nach den Gründen der Subordination der Frau die wissenschaftliche Diskussion über Jahrzehnte hinweg unhinterfragt bestimmen.

Neue theoretische Ansätze

Aufgrund der neu gewonnenen Sicherheit, dass androzentrische und biologistische Erklärungsmodelle den Blick auf Frauen verengt und verzerrt hatten, gingen vor allen Dingen Wissenschaftlerinnen davon aus, dass neue Analysen zur Frau auch andere Ergebnisse über die Asymmetrien in den Geschlechterrollen erbringen müssten.
Mitte der 70er Jahre erschienen parallel verschiedene Veröffentlichungen, die den Beginn einer feministischen wissenschaftlichen Forschung einläuten sollten. Obwohl eine Reihe wichtiger Arbeiten diesen neuen feministischen Veröffentlichungen vorausgegangen war, begann eine neue Ära in der wissenschaftlichen Forschung, in der Frauen in den Mittelpunkt der theoretischen Diskussion rückten. Die Grundsatzfrage, wie sich die Geschlechter voneinander unterscheiden, die mit der feministischen Kritik an der Wissenschaft ins Blickfeld geraten war, beeinflusste von nun an den Verlauf der wissenschaftlichen Forschung und wurde in der Folge im Sex- und Gender-System weiterentwickelt, das zu einem der wichtigsten Analysemittel für die moderne Theorienbildung werden sollte.
Der Beginn einer umfassenden Kritik an traditionellen theoretischen wissenschaftlichen Modellen insgesamt hatte eingesetzt, wie auch eine neue wissenschaftliche Auseinandersetzung mit traditionellen Vorstellungen, Ideologien und Theorien. Aber auch die neuen feministischen Konzepte zur Subordination der Frau sollten nicht ohne kritische Resonanz bleiben, was zu einer äußerst fruchtbaren Weiterentwicklung theoretischer Annäherungen führte.

Das "gender"-Konzept

Trotz der äußerst wichtigen Pionierarbeit der frühen feministischen Wissenschaftlerinnen verfingen sich diese jedoch immer wieder in alten Traditionen der Ethnologie, das Leben und die Geschlechterrolle von Frauen separat zu betrachten, anstatt männliches Leben in die Analyse mit einzubeziehen, um die Komplexität der Beziehungen zwischen Männern und Frauen und die ihnen zugrunde liegenden Machtverhältnisse berücksichtigen und entsprechend analysieren zu können.
Die Frage nach den Unterschieden, die in der theoretischen Diskussion um die Ungleichheiten unter den Geschlechtern auftauchte, erwies sich als analytische Kategorie und als theoretisches Hilfsmittel wenig ergiebig. Aus der Diskussion um geschlechtsspezifische Unterschiede (differences) ging ein neuer Begriff bzw. ein neues System hervor, das die Ethnologin Gayle Rubin (1975) als das sex-gender-System einführte. Der englische Begriff sex bezeichnet das biologische Geschlecht, das festlegt, dass nur Frauen Kinder gebären und nähren können; der Ausdruck gender dagegen, der ebenfalls aus der englischen Sprache bzw. der Grammatik entstammt, wurde eingeführt, um eine doppelsinnige Bedeutung des Begriffs Geschlecht zu vermeiden.
Das gender-System macht Angaben darüber, ob die Frau, die aufgrund ihrer Biologie die Kinder zur Welt bringt, diese auch, als kulturelle Elaboration, alleinverantwortlich aufzuziehen und zu versorgen hat.
Der Begriff gender läßt sich heute nicht mehr aus der wissenschaftlichen Diskussion um Geschlechterrrollen wegdenken. Der gender-Ansatz ermöglicht ebenfalls, der Frage nachzugehen, ob eine Gesellschaft mehr als zwei gender für die Einteilung ihrer Mitglieder haben kann (queer studies).*

*Auszüge aus Dumont du Voitel, Waltraud: „Macht und Entmachtung der Frau“, 1994