Sie und Er. Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich
Waltraud Dumont du Voitel
in: Völger, G. (Hg.): „Sie und Er. Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich“.Zweibändige Materialiensammlung zu einer Ausstellung des Rauenstrauch-Joest-Museums für Völkerkunde in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln 1997/1998
Männlicher Gebärneid und weibliche Macht
Die Fähigkeit der Frau, Kinder zu gebären, zu nähren und großzuziehen, ist eine mächtige biologische und soziale Leistung der Frau. Diese Fähigkeit der Frau ist seit je her ihre wichtigste Machtbasis, gepaart mit der Gewißheit der Frau um die biologische Herkunft ihrer Kinder. Diese originäre Quelle der weiblichen Macht ging in einem langen historischen Prozeß in männliche Kontrolle über, in dem Frauen den Männern zuerst sexuell, danach ökonomisch und rechtlich durch die Schaffung patriarchalischer Gesellschaften untergeordnet wurden. Mit der Kontrolle über die weibliche Sexualität und Reproduktion in Verbindung mit der Einrichtung von Dominanzinstitutionen gelang es dem Mann, seinen Gebärneid langfristig zu kompensieren und die vermeintlich (all) mächtige Frau zu beherrschen.
Die überwältigende Mehrheit der in der Welt vorfindbaren Gesellschaften ist patriarchalisch strukturiert, das heißt, daß in weiten Teilen der Erde die Frau dem Mann in irgendeiner Weise und mit vielen Variationen mehr oder weniger streng untergeordnet ist. Im Gegensatz zu patrilinearen Systemen sind matrilineare Systeme, bei denen die Abstammungs- und Erbfolge unilinear in mütterlicher Linie erfolgt, und die sehr häufig mit sogenannten Matriachatengleichgesetzt werden, weltweit mit Abstand in der Minderheit. Frauen verfügen in diesen Gesellschaften über wesentlich mehr Autonomie als Frauen in patriarchalischen Gesellschaften, denn dort unterliegen Kinder und Frauen in der Familie männlicher Dominanz, die sich in der Gesellschaft über Frauen insgesamt erstreckt. Männer füllen die Machpositionen in allen wichtigen Institutionen der Gesellschaft aus, während Frauen der Zugang zu diesen gewöhnlich weitgehend versagt wird. Ist dies naturgegeben? Nein.
Für die amerikanische Historikerin Gerda Lerner (1991:23f.) ist die Unterordnung der Frau eine historisch gewachsene und kulturell bedingte. Sie ist aber auch die Folge davon, daß es den Männern im Laufe der Menschheitsgeschichte gelang, Frauen unter männliche Dominanz zu bringen, indem sie sich Frauen in einem langen Prozeß sexuell, ökonomisch und rechtlich unterzuordnen wußten. So konnten sie zudem ihren sicherlich unbewußt erlebten Gebärneid (Dumont du Voitel 1994:10,58,149,369) umdeuten und langfristig verschleiern. Besonders Margaret Mead (1960:128f.) fiel bei ihren zahlreichen Feldaufenthalten in vielen unterschiedlichen Kulturen der Welt immer wieder ein Gebärneiddes Mannes auf, der viel größer zu sein schien als die seinerzeit von Sigmund Freud (1087:159f.) in die Diskussion eingebrachte (vorläufige) These vom Penisneidder Frau, der angeblich die Sexualität der Frau bestimme. Dieser von ihr und von anderen Wissenschaftlern beobachtete Gebärneid des Mannes, der phylogenetisch älter und fundamentaler als der Penisneidder Frau sein soll, (Mitscherlich unter Bezugnahme auf die Psychoanalytiker Klein (1932) und Zilboorg (1944)), ging immer wieder in die ethnologische Literatur und in psychoanalytische Theoriendiskus-sionen ein (Adam 1986:26; Benz 1984:307f.; Bettelheim 1982:149; Gottschalch 1987:45; Hart 1991:99f.; Jaffé 1968:525f.; Mitscherlich 1986:156 u. 1987:35,138; Modena 1986:46), aber es wurde nie ein-gehend geprüft, welche Auswirkungen dieser Gebärneid des Mannes auf die Unterordnung der Frau unter männliche Dominanz gehabt haben könnte: vermutlich den größten.
Daß es einen männlichen Gebärneid gibt, deuten nicht nur die vielfältigen weltweit ausgeübten offenen oder versteckten Nachah-mungen des Gebärens in Form von ritualisierten Geburten an, die Männer durch-führen, sondern auch die Couvade, das Männer-kindbett, die Subinzisionen und die Verstopfungen des Mastdarms (Schwangerschaft), wie auch die männlichen „Menstruationen“ (Adam 1986:26; Bettelheim 1982:167,172; Völger 1990:34). Des weiteren werden durch die orale Aufnahme von Spermaflüssigkeit als Muttermilch mancherorts Initianden sogar genährt (Herdt 1981: 100,179,234 und 1984:1f.; Knauft 1986:269; Newman & Boyd 1982: 239f.; Gewertz 1982:286; Schröter 1994:213f.) und viele überlie-ferte Zeugungsvorstellungen sind männlich zentriert (Gregor 1985: 167; Hauser-Schäublin 1989:182f.; Herdt 1981:255f.; Hiatt 1979: 247f.; Müller 1989:75). Auch existiert die Vorstellung, daß eine Schwangere häufig Geschlechtsverkehr haben oder Spermaflüssigkeit oral aufnemen soll, damit der Fötus wächst (Gregor 1985:69f.; Langheiter 1898:143; Mader u. Gippelhauser 1989:249).
Der Begriff Gebärneid steht hier allerdings nicht im Sinne eines Sexualneids, sondern er beinhaltet den Wunsch des Mannes nach pro-kreativen und damit verbundenen sozialen Fähigkeiten der Frau, nach Teilhabe an der Schöpfung von Leben, nach Beteiligung am Lebenschenken und nach der Gewißheit um die biologischeHerkunft der Kinder. Der männliche Gebärneid erweist sich als überzeugende Erklärungsgröße für die Unterordnung der Frau unter männliche Dominanz. Wie sich die allmähliche Unterordnung der Frau unter männliche Herrschaft im historischen Verlauf ereignet haben könnte, wird hier in drei sich überlappende Zeitphasen untergliedert.
Erste Phase
Die frühe Menschheit dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit weiblich zentriert oder orientiert gewesen sein, da den Frauen einflußreiche Funktionen bei den kultischen Verrichtungen, den religiösen Zeremonien und in der Welt der Symbole zugeschrieben werden. Es wird daher von einer Macht der Frau oder Göttin im Alltag und in der Religion in der prähistorischen Zeit gesprochen. Als Belege für eine prähistorische Mutterzentriertheit werden archäologische Funde in Form von Frauenstatuetten, Darstellungen von bestimmten Teilen des weiblichen Körpers, wie Brüsten, Hüften und Bauch, Zeich-nungen von Vulven und drei-eckigen Schößen wie auch Symbole der Fruchtbarkeit und der Schwangerschaft (Doppelstrich als Symbol der Schwangerschaft oder der Stärke von zweien) und Symbole für Geburt und Leben (ein V oder Dreieck) herangezogen, die in jung-paläolithischen und in neolithischen Höhlen und an Felsen gefunden wurden und in sehr unterschiedlichen Regionen und Zeiten vor-kommen (Gimbutas 1996:99f.; Hartge 1995: 106; Jaffé 1968:521f; König 1988:108,131,153; Lerner 1991:184f; Mellars 1996:65,83f.; Schulte 1995:138f.; Sherratt 1996:227f.; Uhlig 1991,Whittle 1996: 165).
Die Interpretation prähistorischer Funde von weiblichen Statuetten als Hinweis auf eine Mutterzentriertheit oder Göttinnenverehrung stößt auf große Kritik, da das Auffinden solcher Statuetten keine ausreichende Begründung für das Argument sei, daß es eine weitver-breitete Verehrung einer Muttergöttin gegeben habe (Röder, Hum-mel u. Kunz 1996: 347). Dem ist mit Lerners (1991:189) Worten entgegenzuhalten, daß gerade das Fehlen anderer figurativer Dar-stellungen in ähnlicher Zahl zumindest in den im Neolithikum bewohnten Gegenden zu der Folgerung berechtige, daß diese Statuetten eine besondere, warum nicht auch eine religiöse Bedetung gehabt haben könnten.
Weitgehend gesichert sei, so Lerner (1991:190f.), dagegen die Deutung jener archäologischen Funde aus der Zeit seit dem 4. Jahrtausend v. Chr., denn die Figuren weiblicher Gottheiten stünden in eindeutig bezeichneten situativen Zusammenhängen und wiesen besondere und stets vorhandene symbolische Attribute auf: „Die Göttin ist dargestellt inmitten von Säulen oder Bäumen und in Be-gleitung von Ziegen, Schlangen und Vögeln. Diese Symbole zeigen, daß sie als Quelle der Furchtbarkeit von Pflanzen, Tieren und Men-schen verehrt wurde“ (ebd.: 190f.).
Im Gegensatz zu den archäologischen Funden aus prähistorischen Zeiten, über deren Bedeutung wahrscheinlich nie vollkommen Klar-heit herrschen wird, gibt es neben Tempelgesängen und Gebetstexten historisch verifizierte Belege (linguistische, literarische, bildliche und rechtliche Quellen), aus denen die Verehrung von Göttinnen, das Leben und die Verhaltensweisen von Priesterinnen im alten Mesopotamien und in der neubabylonischen Periode rekonstruiert werden können (Lerner 1991: 163).
DieMacht der Frauin jener Zeit jedoch mit dem Begriff Machtund seiner heutigen Definition zu belegen, ergäbe ein völlig falsches Bild der Macht jener Frauen, zudem unser heutiger Machtbegriff einem männlichen Paradigma unterliegt. Es war wahrscheinlich die Zeit der Verehrung der Fruchtbarkeit, der Gebär- und Nährfähigkeit sowie der Überlebenstüchtigkeit der Frau. Auch diese Zeit Ma-triarchat zu nennen, ist äußerst fraglich, denn von sogenannten Matriarchaten sollte man nur sprechen, wenn Frauen Macht über Männer ausüben, nicht neben ihnen, wenn Frauen über gesell-schaftlich legitimierte Machtbefugnisse verfügen, die sowohl den öf-fentlichen Bereich als auch Außenbeziehungen einschließen, und wenn Frauen wichtige Entscheidungen nicht nur für ihre Familien-mitglieder, sondern auch für die Gemeinschaft insgesamt treffen. Sicher ist nur, wenn es je sogenannte Ma-triarchate gab, diese heute nicht mehr existieren (Bamberger 1974:263, 280, Childe 1975:55 170, Lerner 1991:52, Röder, Kummel u. Kunz 1996:377).
Zweite Phase
Nach einer wahrscheinlich langen Zeit der kultischen Überhöhung und Verehrung der Frau der biologischen und sozialen Fähigkeiten der Frau in der frühen Menschheit mußte dennoch vor der Ent-stehung der Schrift und der ersten Hochkulturen um ca. 3.000 v. Chr. - denn diese waren schon weitgehend patriachalisch organisiert - eine allmähliche Entmach-tung der Frau, ein Paradigmenwechsel, mit großen regionalen Unter-schieden stattgefunden haben. Als Gründe für diesen Wandel in der sozia-len Ordnung werden in der Literatur genannt: Klimaveränderungen, Durchbruch in der Waffen- und Jagd-technik, mit der eine neue Nah-rungsquelle, die Jagd auf Großwild, erschlossen werden konnte, Überbevölkerung und Völkerwan-derungen (Gamble1996:31f.,33 Mellars 1996:59,73f. Mithen 1996: 93, 103f.). Alle diese Faktoren hatten sicherlich großen Einfluß auf das Geschlechterverhältnis. Die Erschließung der Großwildjagd ließ zum einen den Beitrag der Männer zur Nahrungsversorgung der Gruppe bedeutender werden. Zum anderen wurden durch den stän-digen Anpassungszwang höhere Mobilität und den Bevöl-kerungs-druck immer stärker Verteidigungsfunktionen benötigt, um Nah-rung und Lebensraum für die Gruppe zu sichern (Whittle 1996:180). Männer könnten neben den Versorgungs- nun auch verstärkt wich-tige Schutzfunktionen für die Gruppe dabei dürften auch Frauen wie die Kinder, zu beschützenden Personen geworden sein.
In dieser frühen Phase der gesellschaftlichen Veränderungen könnte der vermeintlichen Allmacht der Frau, Macht über Leben und Tod zu haben, eine männliche Macht, nämlich die des Schutzes von Leben, entgegengesetzt worden sein. Eine mögliche Machtgleichheit zwischen Mann und Frau könnte sich nun im Auftreten von Funden mit androgynen Symbolen (Childe 1975:70, 86; König 1988:126, 130), in denen sich Vulven und phallische Gebilde gegenüberstehen, ausgedrückt haben. Weitere große Veränderungen in den Geschlech-terbeziehungen dürfte die Neolitische Revolution (Seßhaftwerdung der Menschen, Domestikation von Tieren, Lagerhaltung von Lebens-mitteln, Entwicklung der Landwirtschaft) verursacht haben. Die Einführung der Pfluglandwirtschaft dürfte dem Mann neben der Jagd und Kriegsführung Möglichkeiten eröffnet haben, seinen Nutzen für die Gemeinschaft zu steigern und die vormals mächtige Frau sogar in ihrer Bedeutung für das Überleben der Gruppe zu übertreffen, so daß der Weg zur Unterordnung der Frau unter männliche Autorität vorbereitet war. In jener Zeit entstanden vereinzelt Phallussymbole (Childe 1975:70), die auf einen männlichen Führungsanspruch hinweisen könnten und im Zusammenhang damit stehen dürften, daß die Rolle des Mannes bei der Fortpflanzung nun spätestens mit der Domestikation und Zucht von Tieren völlig verstanden worden war. Im Mythos und Ritual schafft zwar immer noch die Große Göttin Leben und bestimmt über den Tod, aber es gibt schon eine stärkere Betonung des männlichen Beitrags bei der Schöpfung und Fort-pflanzung. So enthalten schon Mythen aus dem 2. und 3. Jahrtausend v. Chr. Hinweise darauf, daß eine neue Vorstellung über die Schöp-fung Eingang in das religiöse Denken gefunden hatte (Lerner 1991: 193). Dabei dürfte sich diepsychologische Kompenente, daß der Mann an den vermeintlich allmächtigen weiblichen Fähigkeiten teil-haben oder diese sogar zu übernehmen wünscht (Gebärneid) als entscheidend für die Entmachtungder Frau erweisen.
Erste Hinweise auf eine Unterordnung der Frau unter männliche Führung im Neolithikum und davor geben sowohl Gräberfunde, zum Beispiel aus der mesolithischen Krim und aus späteren Epochen, die auf die Praxis der Witwenverbrennung (sati) schließen lassen (Childe 1975:55,70,88,170) als auch der Brauch der Exogamie mit Frauentausch, bei dem Frauen freiwillig oder unfreiwillig (Braut-raub, Vergewaltigung) in die Fremde geschickt wurden und nicht Männer. Um diese Trans-aktionen durchführen zu können, mußten Frauen schon in irgendeiner Weise den Männern ihrer Gruppe untergeordnet gewesen sein. Diese vermutlich erste gender-Rolle der Frau (Lerner 1991:38, 263), daß sie und nicht der Mann in die Fremde geht dürfte neben anderen Gründen, wie zum Beispiel zur Allianzsicherung, schon mit einer ersten Kontrolle ihrer Repro-duktion in Verbindung gestanden haben. Die neue Gruppe, in die sie getauschtwurde, benötigte für die neue Produktionsweise viele Kinder, das heißt, die Fortpflanzungstüchtigkeit der Frau wurde von der neuen Grupppe gefördert und eine Geburtenkontrolle vermieden. Aus diesem exogamen Frauentauschdürfte höchstwahrscheinlich das Ge-wohnheitsrechthervorgegangen sein, so vermutet Lerner (1991: 146), das männlichen Familienmitgliedern ermöglichte und ermög-licht, weibliche Familienmitglieder auch ohne deren Zustimmung zu verheiraten. Männer hatten offensichtlich die Kontrolle über die reproduktiven Fähigkeiten der Frauen vor der Formierung von privatem Besitz und von hierarchischen Gesellschaften übernommen. Indem sie zuvor die Frauen ihrer eigenen Gruppe zu subordinieren und später zu versklaven gelernt hatten, lernten Männer, auch Männer zu dominieren und Hierarchien zu schaffen.
Dritte Phase
Um rund 3000 v. Chr. entstanden die ersten archaischen Hoch-kulturen in Mesopotamien (Sumer) und Ägypten; weitere Reiche mit staatlicher Organisation sowie einer ausgeprägten Arbeitsteilung und einer durch den Beginn des Schrifttums um 3100 v. Chr. möglichen historischen Zeitrechnung entstanden in Indien, in Zentral- und Ost-asien wie auch in Mittel- und Südamerika. Bei der Durchsetzung und Festigung von starken, zentralistischen und imperialistischen König-reichen und Staaten, mit der Institutionalisierung der Sklaverei wurde die Frau durch die gesetzliche Regelung ihres Sexual-verhaltens und durch die Einrichtung von Dominanzinstitutionen weiter entmachtet. In einem langen Prozeß verlor sie mehr an Au-tonomie und ging schließlich in den Eigentumsbestand von Männern über.
Die gesetzlichen Grundlagen
Die gesetzlichen Grundlagen zur Unterordnung der Frau am Beispiel Mesopotamiensnahmen Lerner (1991:135f., Rohrlich 1980:76f.) zu-folge einen bestimmten historischen Verlauf, der sich auch im Hinblick auf andere frühe Hochkulturen, Königreiche und Staaten zu bestätigen scheint. Zu den historischen Quellen über den Vorgang der allmählichen Institutionalisierung der Unterordnung der Frau zählen die drei wich-tigsten der erhaltenen mesopotamischen Gesetzessammlungen: nämlich die Gesetze des Hammurabi, einge-meißelt auf einer Dorit-Stele um etwa 1750 v. Chr., diemittelassyrischen Gesetze, die Gesetze der Hethiter aus der Zeit von 1500 - 1100 v. Chr. sowie die mosaischen Gesetzeum 1000 v. Chr. Diese Gesetzessammlungen aus vier unterschiedlichen Gesellschaften befaßten sich unter anderem mit Diebstahl von Eigentum, mit der Überwachung von Sklaven und vor allen Dingen mit der Regulierung des sexuellen Verhaltens von Frauen (Lerner 1991:136). In ihnen wurde die sexuelle Subordination der Frau festgeschrieben und mit der gesamten Macht des Staates durchgesetzt, denn in den frühen König-tümern und Staaten bildete sich die Familie als Institution und als Weitervermittlerin von Eigentum und Status heraus. Um die nun wichtig werdende Vererbung von Eigentum, Titeln und Status in patrilinearer Linie vornehmen zu können, mußte die biologische Zuordenbarkeit von Kinder zu einem bestimmten Mann gewährleistet werden. Da nur Frauen eindeutig wissen, daß sie biologisch die Mütter ihrer Kinder sind, war die logische Konsequenz, die weibliche Sexualität und die prokreativen Fähigkeiten auf einen einzelnen Mann zu richten.
Neben den überlieferten mesopotamischen Gesetzen (1750 v. Chr.), dem hebräischen Recht (1000 v. Chr.) weisen weitere frühe Gesetze, Vor-schriften und Lehren (solonische Gesetzgebung 600 v. Chr., konfu-zianisches Recht 500 v. Chr., Zwölftafelgesetze des Römers 450 v. Chr., altindische Gesetze im Manu200 n. Chr., ger-manische Leges 500 n. Chr., islamisches Recht 600 n. Chr.) deutlich eine doppelte Moral für Mann und Frau im Hinblick auf Scheidung und Ehebruch aus. Gewöhnlich stand dem Mann ein einseitiges Scheidungsrecht zu. Während der Ehebruch durch die Frau in den frühen Vorschriften wie ein Eigentums-delikt mit schlimmen Folgen für die Beteiligten geahndet wurde, galt der Ehebruch eines Ehemanns mit einer Sklavin oder Prostituierten gewöhnlich nicht als Ehebruch. Die Strafen bei Vergewaltigungen zeigten, daß Frauen schon zum Eigentum eines Mannes (Vaters, Ehemann) gehörten, an dem der Schaden gutzumachen war. Im Hinblick auf Geburten-kontrolle stand dem Mann gewöhnlich allein das Recht zu, über Leben und Tod der Kinder zu entscheiden.
Die sexuelle Unterordnung der Frauen wurde in diesen frühesten Rechtsordnungen institutionalisiert und mit allen dem Staat zur Ver-fügung stehenden Mitteln durchgesetzt. Für Lerner (1991:26) wurde die Kooperation der Frauen in diesem System auf verschiedene Weise sichergestellt: durch Anwenden von Gewalt, durch ökonomische Abhängigkeit vom männlichen Familienoberhaupt, durch das Gewähren von klassenspezifischen Privilegien für sich anpassende und abhängige Frauen der Oberschichten und durch die künstlich-willkürliche Unterteilung der Frauen in respektable und in nicht-respektable Frauen. Die Verschleierungsgesetze aus Mesopota-mien zum Beispiel aus der Zeit ab 1500 v. Chr. (Lerner 1991:173f.) waren zwar die Voraussetzung für die Heraus-bildung von sozialen Klassen, hatten aber den größten Einfluß auf die sexuelle Tätigkeit und Zugehörigkeit der Frauen. Die dadurch entstandene künstliche Einteilung der Frauen in respektable, das heißt jene, die von einem Mann geschützt wurden, und in nicht-respekable, jene, die diesen männlichen Schutz nicht genossen, führte gleichfalls zu einer künstlichen Abspaltung der Sexualität der Frau in die der Erotik, für die die nicht-respektable und in die der Prokreation, für die die respektable zuständig war. Damit die geschützten Frauen keusch blei-ben konnten, mußte eine Kategorie von Frauen geschaffen werden, die nicht-respektabel war und dem außerehelichen Sexualverkehr von Männern zur Verfügung stand: die Sklavin und die Prostituierte.
Entgegen der üblichen Meinung in der wissenschaftlichen Lite-ratur dürfte die Institutionalisierung der Sklaverei das angeblich älteste Gewerbe der Welt, die kommerzielle Prostitution, eingeführt haben und sich nicht (nur) aus der kultischen Prostitution entwickelt haben, wie so oft vermutet wird. Schon in archaischen Staaten habe es, so Lerner (1986:238f. und 1991:162f.), zwei Formen organi-sierter Prostitution, kultische und kommerzielle, gegeben. Sie unter-nimmt daher eine wichtige Trennung zwischen der ursprünglich heiligen Prostitution durch Priesterinnen, das heißt sexuelle Riten, die zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin durchgeführt wurden und die hochgeschätzt waren, und der kommerziellen Prostitution,die außerhalb der Tempel stattfand.
Die lange Zeit hochangesehene kultische Prostitution im Nahen Osten, bei der auch beträchtliche Geschenke und Gaben für die sexuellen Dienste im Namender Fruchtbarkeit entweder dem Tempel, den Priestern oder den heiligen Prostituierten selbst erbracht wurden, verlor jedoch allmählich an Bedeutung, was mit einem Wandel der religiösen Glaubensinhalte und Symbole im Zusammenhang stehen dürfte.
Von einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt im 4. Jahrtausend v. Chr. an wird die Gestalt der Muttergöttin aus ihrer Position an der Spitze des Pantheons der Götter entfernt (Lerner 1991:195). Die Muttergottheit wird herabgewürdigt, ihr männlicher Gefährte oder Sohn erhält einen Achtungszuwachs und dominiert schließlich. Er verschmilzt sich mit einem (Sturm)Gott zu einem männlichen Schöp-fergott, der im Pantheon der Götter und Göttinnen eine beherr-schende Stellung einnimmt. Dieser Prozeß, in dem Frauen ihrer ursprünglichen Funktion als Vermittlerin zum Göttlichen beraubt wurden, vollzog sich über mehr als tausend Jahre und erreicht seinen Höhepunkt im Buch der Genesis.
Religiöse Grundlagen
Der hebräische Monotheismus griff immer mehr den weitverbreiteten Kult der Fruchtbarkeitsgöttinnen und andere weib-liche Kulte, wie etwa den Schweinekult an, um einen männlichen Schöpfergott im Symbolsystem durchsetzen zu können (Schulte 1995:32,48,110152). Die Frage die sich Röder, Hummel und Kunz (1996:227) stellen, warum die im Neolithikum so zahlreich vorhan-denen Frauenstatuetten allmählich verschwinden oder gar zerstört wurden, könnte in diesem Zusammenhang eine Antwort finden. Im ersten Buch Mose, der Genesis, wird die Schöpferkraft und Frucht-barkeit einem allmächtigen Gott übertragen, dessen Titel Königoder Herrihn als einen männlichen Gott ausweist, das heißt, daß eine sym-bolische Abwertung von Frauen im Verhältnis zum Göttlichen stattgefunden hatte.
Gemeinsames Kennzeichen der großen monotheistischen Religio-nen nun ist, daß die Macht der Erschaffung von Leben einem allmächtigen Gott übertragen wurde. Er ist nun der allmächtige Vatergott, der Leben gibt und nimmt. Die in diesen religiösen Syste-men auftretende Übernahme und Umdeutung der Schöpfermacht und Fruchtbarkeit auf einen Mann ermöglichte es ihm, seinem Wunsch nach allmächtigen prokreativen Fähigkeiten nachzukommen, weil er als der eigentliche Schöpfer der Menschheit in die Superstrukturen und Ideologien der (monotheistischen) Weltreligionen einging. Die weibliche Sexualität und Sinnlichkeit wurde als eine ungezügelte Macht im weiblichen Wesen dämonisiert und vorherrschende miso-gyne Ansichten in die religiösen Systeme integriert Zugleich wurden weibliche Fähigkeiten und die intellektuelle Kraft in Frage gestellt, um die weibliche Minderwertigkeit als gottgewollt und naturgegeben im Denken und Handeln durchzusetzen.
Die religiösen Systemen spiegeln aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Starke imperialistische Königtümer mit mächtigen männlichen Oberhäuptern, die Macht über Leben und Tod der Unter-tanen haben, werden in dem Bild vom allmächtigen männlichen Schöpfergott, dem König oder Herrn, wiedergegeben. Während der männliche Beitrag zur Fortbestehen der Menschheit eine göttliche Aufwertung erhielt, erfuhr die weibliche Fähigkeit oder Macht, Leben zu schenken und zu erhalten, die in der Frühzeit der Menschheit und in den wenigen heute noch vorhandenen matri-linearen Gesellschaften viel Ver-ehrung fand und findet, im Laufe der Patriachalisierung der Gesellschaften eine völlige Abwertung.
Nachdem Frauen in einem langen Prozeß der sexuellen, rechtlichen und ökonomischen Unterordnung entmachtetworden waren, stellt sich hier die Frage, ob sie denn immer ohnmächtig oder machtlos waren. Nein, dies waren sie nicht.
Allerdings ist die Art der Macht, über die Frauen heute und früher in streng patriarchalischen Gesellschaften verfügen, einederivative Macht, die sich aus den Subordinationsprinzipien und -methoden ableitet, weil der Frau durch ihre jahrtausendelange Subordination die Grundlagen der männlich definierten Macht fehlen. Weibliche Macht leitet sich vor allen Dingen aus dem manipulativen Einsatz ihrer Quellen her. Frauen können in streng patriarchalischen Gesell-schaften, früher wie heute, Macht ausüben, die nach Max Webers (19844:89) Formaldefinition willkürlich ausgeübt werden kann, wenn sie über die Fähigkeit verfügen, sich durchzusetzen und andere, besonders Autoritätspersonen, zu manipulieren. Quellen der Macht, die Frauen unter bestimmten Umständen, Bedingungen und zu verschiedenen Zeiten auch zu politischer und gesellschaftlicher Macht verhelfen konnten, waren und sind die Herkunft (Elitefamilie), institutionalisierte hohe Statusrollen für Oberschichtsfrauen, gender- komplementäre Gewohnheitsrechte, das Alter, das Wissen, die Erfah-rung einer Frau als auch ein attraktives Äußeres, eine gewinnende Persönlichkeit, das Vermögen, sich durchzusetzen oder andere zu manipulieren, die Bereitschaft zur Solidarität, starke Frauenverbände als auch matrilineare Sozialstrukturen und Matrifokalität (Dumont du Voitel 1994:297f.). Die männlich-zentrierte Ausdifferenzierung der Macht dürfte ihre Wurzeln in dem Prozeß haben, in dessen Verlauf sich der Mann als Kompensation zu den prokreativen und sozialen Fähigkeiten der Frau, die ihr seit jeher eine urtümliche oder natürliche Macht zu verleihen schienen, eine kultürliche Macht schuf, die sich über Leistungen und kulturelle Schöpfungen definiert. Diese wurden mit kultureller Legitimation versehen und gegenüber weib-lichen Leistungen (Kinder zu gebären, zu nähren und aufzuziehen) aufgewertet. Dieser Wechsel des Paradigmas ermöglichte dem Mann, der Fraue einen minderwertigeren Status zuzuschreiben, um seinen Gebärneid langfristig verschleiern zu können, denn der Hahn kann keine Eier legen.